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Rechtes Christentum: Vortrag in der Kapelle des Jugendhofs Sachsenhain

Theologe Martin Fritz nimmt Gäste mit auf eine theologische Spurensuche zum Thema christliche Rechte

Theologe Dr. Martin Fritz beim Vortrag zur christlichen Rechten
Rechtsradikale Christen? Dass sich extreme religiöse und politische Positionen nicht ausschließen müssen, lässt sich auch in der Weser-Aller-Region beobachten.  Zwischen Hannover und Bremen hat sich in den letzten 30 Jahren eine international vernetzte, christlich fundamentalistische Szene entwickelt, die im vorpolitischen Raum gegen emanzipatorische Errungenschaften kämpft. Die politisch weit am rechten Rand stehende Bewegung ist in Vereinen, Freikirchen, aber auch innerhalb der Amtskirchen aktiv. Der Theologe Dr. Martin Fritz nahm die Gäste der Veranstaltung „Christentum von rechts“ mit auf eine theologische Spurensuche.

Welche Erklärungen gibt es aus theologischer Perspektive für die häufig unerbittlich vorgetragenen Positionen innerhalb des rechtschristlichen Lagers? Dieser Frage ging der promovierte Theologe Martin Fritz im Rahmen einer Veranstaltung des WABE e.V. im Jugendhof Sachsenhain vergangenen Dienstag nach. Der ordinierte Pfarrer arbeitet bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, einer Einrichtung der EKD. Er verantwortet dort das Referat für Grundsatzfragen, Strömungen des säkularen und evangelikalen Zeitgeistes, Evangelikalismus und pfingstlich-charismatisches Christentum. Der Wissenschaftler, der nach seiner Habilitation eine Privatdozentur im Fach Systematische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau innehat, entschied sich für einen theoretischen Zugang zum besseren Verständnis des Phänomens eines rechten Christentums. Neben einschlägigen rechtschristlichen Publikationsorganen wie Junge Freiheit, Sezession und kath.net beschäftigte er sich insbesondere mit den Schriften von Personen aus dem Umfeld der Christen in der AfD, dem extrem rechten Institut für Staatspolitik und der extrem rechten Identitären Bewegung. Aus der Lektüre ließen sich Fritz‘ zufolge fünf theologische Grundmotive ableiten, die er einer umfassenden Kritik unterzog.

Das Motiv eines „bewahrenden Christentums“ versucht über die Varianten Schöpfung und Naturrecht Ordnungen und Werte zu zementieren, die es in dieser unterstellten Unveränderlichkeit niemals gab oder geben wird. Mit diesem an sich konservativen Wunsch nach einer fixen, unveränderlichen Weltordnung erinnere das Milieu an den konservativen Islam, der als gleichberechtigte Weltreligion gleichzeitig abgelehnt werde. Da die Autoren an keiner Stelle offenbarten, welche Werte und Normen eigentlich maßgeblich seien und wer diese Setzung legitimerweise vollziehen möge, verbirgt sich hinter diesem religiösen Grundmotiv letztlich eine durchsichtige Politisierung eigener (rechter) Ordnungsvorstellungen.

Das zweite Motiv nannte Fritz ein „realistisches Christentum“, wonach in Anlehnung an Max Weber Gesinnungsethik gegen Verantwortungsethik in Stellung gebracht werde. Während sogenannte Gutmenschen hypermoralisch (Arnold Gehlen) der Utopie universal gültiger Menschenrechte nachhingen, schränkten „verantwortliche“ Christen dieses idealtypische Liebesgebot auf ein realistisches Maß ein. Dieser „Nahbereich“ umfasse die eigene Familie, den Freundeskreis, die „Nation“, jedoch nicht den „Fremden“. Hilfe für Geflüchtete oder arme Menschen sei durchaus möglich, allerdings nur auf freiwilliger und individueller Basis. Weder universale Menschenrechte, staatliche Sozialhilfe oder das gesetzlich verankerte Recht auf Asyl lassen sich mit dieser Dichotomie begründen, auch keine „Einmischung der Kirchen in die Tagespolitik“. Als Einwand hob Fritz hervor, dass das Liebesgebot im Sinne einer „Jedermannsliebe“ selbst dann mittelbar politisch leitend sein könne, wenn es nicht unmittelbar politisch umgesetzt werden kann.

Das Motiv eines „patriotischen Christentums“ offenbart Anschlussfähigkeit für eine völkische Ideologie. Christentum und Patriotismus sollen sich demnach nicht mehr ausschließen, der Einzelne im „Volk“ verwurzelt sein. Antisemtisch konnotierte Narrative wie „Globalismus“ und „One-World-Ideologie“ werden als Feind einer „homogenen Heimatkultur“ und ethnopluralistischer Vorstellungen betrachtet. Biblisch werde das Ideal einer „homogenen Gemeinschaft“ oft mit dem Turmbau zu Babel begründet, eine Metapher, die laut Fritz jedoch genau das Gegenteil zum Ausdruck bringen möchte: Die Verstreuung der Völker über die Erde und die Unterteilung in verschiedene Sprachen – die Grundlage dessen, was durch die sogenannte Neue Rechte als wünschenswerte Vielfalt der Völker nebeneinander angestrebt wird – stelle eine Strafe Gottes dar als Metapher für menschliche Hybris.  Auch dieses Motiv konnte Fritz durch den Hinweis widerlegen, dass es ein „homogenes Volk“ in Europa zu keiner Zeit gegeben habe.

Als viertes Motiv nannte Fritz das „wehrhafte Christentum“. Das Christentum wird hiernach als Quelle der Identität betrachtet, weswegen es nicht verwundert, dass Autorinnen wie Caroline Sommerfeld das Christentum gegen das Fremde, den Feind wehrhaft in Stellung bringen möchten. Dieses Fremde ist in ihren Augen der Islam, weshalb Protagonisten der Identitären Bewegung Fan (auch popkultureller) Darstellungen der Reconquista, der „Urszenen des tausendjährigen Abwehrkampfes“ (Robert Spaemann) gegen den Islam sind. Fritz bezeichnete dieses Motiv als „jesuanisch entkerntes“ Christentum, da der rigide Freund-Feind-Dualismus, die Negation von Sanftmut, Demut und Toleranz im krassen Gegensatz zur christlichen Botschaft stünden. Im Übrigen bliebe unklar, ob durch eine kulturelle Aufladung des Christentums (als „europäisch“) nicht der christliche Glaube entsakralisiert werde - ein Vorwurf, der von diesen Kreisen den „Wohlfühlchristen“ gemacht werde.

Seine Analyse beendete Martin Fritz mit einem fünften Motiv, das er „entschiedenes Christentum“ nannte. Dessen Hauptcharakteristikum bestehe in einer Reobjektivierung des Christentums. Nach katholischer Lesart ginge diese Restaurierung mit einer Rückkehr zum Traditionalismus vorkonziliarischer Zeiten einher, evangelisch oder evangelikal mit einer Stärkung des Konfessionalismus bzw. des Schriftprinzips. Was er die Paradoxie einer „Ökumene von rechts“ nannte, erkläre sich durch sich gegenseitig ausschließende Prinzipien, schließlich lag der Kern der protestantischen Reformation in der Abkehr vom katholischen Traditionalismus. Im Wunsch nach einer Ausschaltung der Moderne läge zudem eine subjektive Entscheidung, weshalb der Wunsch nach Objektivismus nicht ohne subjektive Setzungen funktioniere, die man ja eigentlich ablehnt. Gleichzeitig leugnen die Protagonisten wesentliche Elemente dessen, was die von ihnen ersehnte kulturelle (christliche) Identität Europas auszeichnet: Aufklärung und Moderne.

Sein Fazit brachte Martin Fritz auf die Formel, rechtes Christentum sei konservatives Christentum in populistischer Verschärfung oder in Kulturkampfstellung, wobei sich einige der Akteure auch inhaltlich radikalisierten. Damit stellte er sich entschieden gegen die Analyse von Liane Bednarz, die im letzten Jahr in Verden zu diesem Thema referierte. Diese sah zwischen konservativ und rechts einen deutlichen Unterschied und nicht wie Fritz sich überschneidende Sphären.

Fritz schloss mit den Worten, die „Politisierung von Theologie auf Kosten von Aufrichtigkeit und Fairness“ sei letztlich „eine moralisch, religiös und theologisch zwielichtige Sache“.

Auf die Frage was tun, warnte der Referent vor Dramatisierungen und Pauschalierungen. Er warb für Aufklärung, Analyse und Kritik der Inhalte. Mit Gesprächsbereiten solle man rede, Radikale hingegen scharf kritisieren.

Die anschließende, über einstündige Diskussion belegte, dass der Referent mit seinem Vortrag viele Antworten gegeben, aber auch neue Fragen aufgeworfen hatte. Sowohl die Relevanz des Themas in den Gemeinden vor Ort als auch die Frage nach angemessenen Gegenstrategien wurde diskutiert. Einige Gäste vermissten die deutliche Einordnung eindeutig extrem rechter Akteure wie Caroline Sommerfeld. Gegenüber Personen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung oder des Instituts für Staatspolitik, die auch das Bundesamt für Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem einstuft, müsse man sich entschieden abgrenzen, so der eindringliche Appell.

Auf den von einer Teilnehmerin geäußerten Wunsch, dem Thema nicht zu viel Aufmerksamkeit zu widmen, wurden konkrete Beispiele lokaler Aktivitäten genannt, die zeigten, dass man rechten Christen nicht nur theologisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich etwas entgegensetzen müsse. Diese näherten sich nicht nur habituell, sondern auch inhaltlich und personell demokratiefeindlichen Bewegungen an. Diese Sorge formulierte auch Rudi Klemm, Geschäftsführer des WABE e.V., der darauf aufmerksam machte, dass man rechte Aktivitäten in der Vergangenheit nur aufhalten konnte, weil Aufklärung und Sensibilisierung frühzeitig stattfanden und sich ein breites Bündnis dagegen formiert hat. In diesem Zusammenhang formulierte er den Wunsch an die christlichen Gemeinden, dass diese sich künftig noch deutlicher gegen extrem rechte Umtriebe in der Region positionierten.

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